Das Buch spricht mich erst einmal auf der offensichtlichen Ebene an, dass es in Israel spielt. Ich war in den vergangenen vier Jahren dreimal in Israel, und eine Vorstellung zu haben, wo sich Iris, die Hauptfigur, bewegt, ist ein unschätzbarer Vorteil. Sie beschreibt die Straßen in Jerusalem und Tel Aviv, die Siedlungen im Umland, und ich habe ein klares Bild vor Augen. Es hilft auch, mit der jüngeren israelischen Geschichte vertraut zu sein - denn zehn Jahre vor Beginn der Handlung ist Iris bei einem Terroranschlag auf einen Bus so schwer verletzt worden, dass sie ein Jahr im Krankenhaus lag. Dies und ihre Erinnerungen an ihre Jugendliebe Eitan, der sie nach dem Krebstod seiner Mutter, als Iris gerade knapp achtzehn war, verlassen hat, bilden das Gerüst des Buches. Unter Umständen, die mit ihren alten Verletzungen zu tun haben, trifft Iris Eitan nach dreißig Jahren wieder und stürzt sich in eine Affäre mit der Vergangenheit. Parallel wird die Geschichte ihrer Tochter Alma aufgefädelt, die sich einer Art Sekte angeschlossen hat, und der zu helfen zu Iris' neuer Obsession wird. Ich möchte hier nicht zu viel über die Handlung verraten, denn das Buch ist offensichtlich noch nicht (wie sonst bei meinen Büchern so oft) seit weit über hundert Jahren erhältlich, aber die Handlung an sich ist auch nicht das Entscheidende. Wäre sie das, müsste man tatsächlich kritische Fragen stellen angesichts dessen, dass Iris' Affäre und Almas Flucht in eine Sekte praktisch miteinander einhergehen. Und man müsste sich auch fragen, ob die Psychologie der Schuldgefühle, die alle Protagonisten mit sich tragen, tatsächlich so überzeugend ist.
Es gibt also durchaus einige Punkte, an denen ich mich gerieben habe, aber gleichzeitig hat dieses Buch einen seltsamen Sog entwickelt, dem ich mich nicht entziehen konnte. Ich fand Iris oft anstrengend, ihr Jammern einer Frau, die denkt, dass sie das Beste hinter sich hat. Ihre Unzufriedenheit mit ihrer familiären Situation und ihre Unfähigkeit, daran etwas zu ändern. Ihre Verachtung für ihren wohlmeinenden Mann und ihre Angst, den Einfluss auf ihre Kinder zu verlieren. Trotzdem fand ich das Buch von Seite zu Seite besser und überzeugender, denn Zeruya Shalev findet eine ganz eigene Sprache, die mich tief beeindruckt hat. Dies liegt bestimmt auch an der Übersetzung von Mirjam Pressler, die - und das merkt man - nicht nur übersetzt, sondern auch schreibt. Einzig mit der Art, wie Iris' Kinder sich in der Übersetzung ausdrücken, hatte ich zuweilen Probleme - denn welcher Siebzehnjährige sagt heutzutage noch prima? Das hat etwas fast schon charmant Altertümliches und man mag mich aufgrund dieser winzigen Kritik gern kleinkariert nennen.
Am Ende ist Schmerz ein Buch, das ich gerne weiterempfehle. Es wird auch nicht das letzte Buch sein, das ich von Zeruya Shalev gelesen habe.