Was für ein wunderbares Buch - dass Kazuo Ishiguro im vergangenen Jahr den Literaturnobelpreis gewonnen hat, überrascht mich nicht im Geringsten. Dieser Preis war - wie schon bei Alice Munro vor einigen Jahren - Anlass, endlich etwas von ihm zu lesen. The Remains Of The Day (verfilmt mit Emma Thompson und Anthony Hopkins) ist sein bekanntestes Werk, und ich war anfangs etwas skeptisch. Die Geschichte eines alternden Butlers auf einem englischen Landsitz klang doch etwas angestaubt, aber wie falsch ich mit dieser Annahme lag!
Ich habe über die Warmherzigkeit dieses Buches gestaunt und über die Fähigkeiten von Herrn Ishiguro, die Geschichte in der ersten Person zu erzählen und dem Leser gerade dadurch Einsichten zu vermitteln, die dem Protagonisten Mr. Stevens völlig abzugehen scheinen. Er ist ein Butler der alten Schule, so sehr auf Würde und Korrektheit bedacht, dass ihn die Erfüllung seiner Pflichten glücklicher zu machen scheint als private Angelegenheiten es jemals tun könnten. Sein Verhältnis zur Hausdame Miss Kenton ist seiner Meinung nach rein professionell und doch spricht die Liebe zu ihr aus jedem seiner Sätze. Gleiches gilt für sein Wissen um die Unzulänglichkeiten seines Arbeitgebers Lord Darlington, der sich in den Dreißigerjahren etwas zu enger Kontakte mit dem Nazi-Regime schuldig gemacht hat. Trotzdem geht dem Buch eine gewisse Komik nicht ab, etwa, als Mr. Stevens beauftragt wird, dem Sohn eines Bekannten von Lord Darlington die Sache mit den Bienen und den Blumen nahezubringen und er über Tage hinweg auf den richtigen Zeitpunkt für diese Aufgabe lauert. Kazuo Ishiguro schafft es, nur mit Andeutungen unglaublich viel auszudrücken, und die Tiefe, die er damit erschafft, ist allein schon aus handwerklicher Sicht extrem bemerkenswert. Aber auch sonst in jeder Hinsicht. Ab und zu finde ich noch ein Buch von Thomas Hardy - und es nicht zu lesen, das ist nie eine Option. Desperate Remedies ist ein Frühwerk und die Penguin-Ausgabe orientiert sich an einer der ersten, noch unrevidierten Ausgaben. Das steht im Vorwort, und diesmal denke ich mir, dass es vielleicht besser gewesen wäre, besagtes Vorwort nicht vor dem eigentlichen Buch gelesen zu haben. Zu sehr hat es mich auf die Mängel im Text hingewiesen, die mir andernfalls vielleicht gar nicht so sehr aufgefallen wären.
In Desperate Remedies geht es um die junge Cytherea Graye, die nach dem Tod ihres Vaters beinahe mittellos ist und als Gesellschafterin ein Zuhause bei der mysteriösen Miss Aldclyffe findet. Cytherea ist liebt den jungen Edward Springrove, eine Bekanntschaft ihres Bruders, allerdings stehen diverse Hindernisse einer möglichen Heirat im Weg. Als ihr Bruder krank wird, willigt Cytherea ein, Miss Aldclyffes Gutsverwalter, den geheimnisvollen, attraktiven Aeneas Manston zu heiraten. Den ich wiederum - im Gegensatz zu Cytherea - ziemlich spannend finde, und da sind wir schon bei einem Hauptproblem. Cythereas Abneigung gegen Manston ist beinahe mit Händen zu greifen und kaum erklärbar, weil der Aeneas Manston, den Hardy beschreibt, praktisch unwiderstehlich ist. Meine einzige Erklärung hierfür ist, dass sie sich gegen ihren Willen zu ihm hingezogen fühlt, aber auf einer ganz anderen, für ein junges Mädchen deutlich beängstigenderen Ebene als zu Edward, der immer ein bisschen blass bleibt. Das Buch ist gespickt von zahlreichen Zufällen, die den Plot vorantreiben - das kann man getrost ignorieren, wobei Hardys Anleihen an die "sensational novel" im Sinne eines Wilkie Collins eher unbeholfen sind. Cytherea ist eine frühe Version seiner ikonischen Figuren wie Tess oder Bathsheba Everdene, und er ist noch scheu mit den Themen, die später so wichtig für ihn werden. Trotzdem eine mehr als unterhaltsame Lektüre. Dickens ist ja klassische Weihnachtsliteratur, irgendwie, und über die Feiertage hatte ich endlich Gelegenheit, The Old Curiosity Shop zu Ende zu lesen.
Es sei das traurigste Buch von Dickens, wurde mir neulich von einer belesenen Person gesagt, und er habe es aus diesem Grund irgendwann beiseite gelegt. Ich war also gewarnt, dass die Geschichte von der armen Nell Trent und ihrem Großvater nicht besonders fröhlich werden würde, aber in typischer Dickens-Manier gibt es nebst all der Traurigkeit genug lustige, charmante, absurde Begebenheiten und Charaktere, um über die durchaus deprimierenden Aspekte dieses Buches hinwegzuhelfen. Nell Trent ist eine der unglaublich duldsamen Frauenfiguren, die Dickens so häufig erschaffen hat, und die mein einziges Problem mit ihm ausmachen. Sie kümmert sich aufopferungsvoll um ihren Großvater, der in dem Wahn, damit ihr Glück zu machen, sämtliches Geld verspielt, und wird von ihrer Umgebung mehr als Engel denn als Mensch gesehen. Weitaus spannender als sie sind daher die Nebenfiguren, legendäre Bösewichte wie der Zwerg Mr. Quilp, der herzensgute Kit oder das kleine Dienstmädchen, das den Namen "The Marchioness" verpasst bekommt und hinter der mehr steckt, als man erwarten würde. Dickens schickt seine Hauptfiguren hier auf eine Art Roadtrip durch England, so dass das Dickens-London eine weniger große Rolle spielt, und auch wenn Nell in jeglicher Hinsicht ein bisschen blass ist, macht der Reigen an Nebenschauplätzen das Buch sehr, sehr lesenswert. Nur noch zwei Dickens auf meiner Liste - und was dann? Ich war mir ziemlich sicher, dass jedes Buch es nach The Secret History schwer haben würde (außer vielleicht The Goldfinch, aber den hebe ich mir für einen ziemlich langen Flug nächste Woche auf). Sicherheitshalber habe ich nach dem Hardy gegriffen, der gerade auf meinem Stapel lag, aber selbst er konnte mir nicht über meine Entzugserscheinungen in Bezug auf die moralisch fragwürdige Hampden-Clique hinweghelfen.
A Pair Of Blue Eyes gehört zu den weniger wichtigen Werken von Thomas Hardy, und nach der Lektüre kann ich auch nachvollziehen, warum es so ist. Elfride Swancourt ist eine junge Frau, die Entscheidungen trifft, die aus heutiger Sicht nicht weiter bemerkenswert sind, damals aber skandalös waren. Sie verliebt sich in Stephen Smith, einen nicht standesgemäßen Mann, und will mit ihm durchbrennen, merkt aber noch halbwegs rechtzeitig, dass das vielleicht doch keine so gute Idee ist. Stephen verschwindet nach Indien mit dem Plan, dort sein Glück (sprich Geld) zu machen und dann Elfride doch noch heiraten zu können. Kommt mit Henry Knight der zweite, in jeglicher Hinsicht faszinierendere Mann des Weges. Elfride verliebt sich erneut, schießt die Quasi-Verlobung mit dem abwesenden und dann plötzlich doch wieder anwesenden Stephen in den Wind, aber der konservative Henry erfährt irgendwann, dass seine Elfride doch nicht ganz so unschuldig ist wie vermutet (schließlich hat sie vor ihm schon einen anderen Mann geküsst). Verlobung wird gelöst, Elfride ist todunglücklich, heiratet dann aber Lord Luxellian, der hoffentlich nicht ganz so idiotisch war wie die anderen beiden und auch ziemlich attraktiv zu sein scheint, nur um fünf Monate nach der Hochzeit zu sterben. Stephen Smith und Henry Knight, die sich aufgrund jetzt nicht näher auszuführender Gründe kennen, kommen beide in den letzten Seiten auf die Idee, es noch einmal bei Elfride zu versuchen, nur um festzustellen, dass ihr Sarg mittlerweile in der schicken Luxellian-Gruft liegt. Das ist teilweise unterhaltsam, teilweise aber genauso haarsträubend, wie der Plot vermuten lässt. Elfride ist leider weder eine Tess noch eine Bathsheba Everdene, auch wenn Anklänge zu finden sind - Hardy war wohl einfach noch nicht mutig genug, um wirklich Haltung zu beziehen. Stephen ist ein Waschlappen und Henry Knight könnte spannend sein, würde er sich nicht in den entscheidenden Situationen so verhalten, wie es eigentlich überhaupt nicht zu jemandem wie ihm passt. Ich werde bald mal wieder Far From The Madding Crowd in die Hand nehmen. Über ein Buch zu schreiben, wenn man schon tief im nächsten steckt, ist nicht unbedingt einfach - vor allem dann nicht, wenn sie so unterschiedlich sind wie das, was ich gerade lese (in den nächsten Tagen mehr dazu) und Nancy Mitfords The Pursuit Of Love.
Ist man historisch halbwegs bewandert, schreckt man vor dem Namen Mitford erst einmal zurück. Schließlich ist von den Mitford-Schwestern nicht zuletzt Unity berüchtigt, weil sie eine glühende Hitler-Verehrerin war. Diana wiederum heiratete den englischen Faschistenführer Oswald Mosley. Nancy hingegen war politisch eher links und lässt daran in ihren Büchern - Gott sei Dank - keinen Zweifel. Genauso wenig ist es ein Geheimnis, dass ihre autobiographisch gefärbten Bücher bei Teilen ihrer Familie nicht unbedingt auf viel Gegenliebe stießen. Was an The Pursuit Of Love autobiographisch ist, ist allerdings eher unerheblich, denn die Geschichte an sich ist charmant und interessant genug, dass man nicht groß das Bedürfnis verspürt, bei den Mitfords selbst durchs Schlüsselloch zu spähen. Im Mittelpunkt steht die Radlett-Familie, auf deren Landsitz sich ein Großteil der Handlung abspielt. Die Ich-Erzählerin Fanny, eine Cousine der Radletts, verbringt üblicherweise ihre Ferien in diesem Durcheinander aus exzentrischen Familienmitgliedern. Onkel Matthew, der noch immer davon zehrt, dass er im 1. Weltkrieg ein paar Krauts über den Jordan geschickt hat, organisiert zur Freude der Kinder gern Jagden, bei denen der Nachwuchs die Stelle des Fuchses einnimmt, und hat eine Abneigung gegen alles, was nicht Englisch ist. Von den Kindern sticht am meisten Linda heraus, die Fannys beste Freundin ist und deren Geschichte im Mittelpunkt steht. Sie ist - wie der Titel schon sagt - auf der Suche nach Liebe und die absurden, herzerweichenden und haarsträubenden Aspekte dieser Suche beschreibt Nancy Mitford so gekonnt, dass ich sofort sämtliche anderen Bücher von ihr auf meinen Wunschzettel gesetzt habe. Es geht doch nichts über ein paar schrullige, liebenswerte Briten als Sommerlektüre. Passend zum nahenden Herbst bin ich mittlerweile wieder auf düsterere Dinge umgestiegen. Ich bin grundsätzlich eine Freundin von Spätwerken. Je später im Leben eines Autors ein Buch geschrieben wurde, desto mehr mag ich es üblicherweise. Vielleicht weil diese Bücher meistens ein bisschen düsterer und kantiger sind - schreibt die Person, die früher grundsätzlich nur Bücher mit Happy End gelesen hat und das wahrscheinlich immer noch tun würde, hätte nicht der Großteil der wirklich großartigen Bücher ein tragisches Ende.
Our Mutual Friend hat immerhin ein Happy End, bzw. in typischer Dickens-Manier gleich mehrere. Die Figuren, an denen man wirklich hängt, sind am Ende der gut achthundert Seiten glücklicher als am Anfang. Es wird geheiratet und geerbt. Es gibt Mordversuche und hinterhältige Plots, und ohne die Charakterliste auf Wikipedia wäre ich einmal mehr verloren gewesen, zumindest am Anfang. Zur Handlung: Ein alter, miesepetriger, reicher Mann stirbt und sein entfremdeter Sohn, John Harmon, kommt aus Übersee zurück, um sein Erbe anzutreten. Bevor er dies tun kann, kommt er unter dubiosen Umständen ums Leben. Das Erbe geht an die treuen Bediensteten des Verstorbenen, Mr. und Mrs. Boffin. Diese beiden herzensguten Menschen nehmen die junge Bella zu sich, die zu heiraten Voraussetzung für John gewesen wäre, damit er hätte sein Erbe antreten können. Mithilfe eines mysteriösen Sekretärs, John Rokesmith, lernen die Boffins, mit ihrem neuen Leben als wohlhabende Mitglieder der Oberklasse klarzukommen. Soviel zum allerwichtigsten Erzählstrang. Aber Dickens wäre nicht Dickens, wenn er nicht zahlreiche andere Erzählstränge eingebaut hätte. Da ist die junge Lizzie Hexam aus ärmlichen Verhältnissen, die versucht, sich ein besseres Leben zu aufzubauen. Da ist ihre Freundin Jenny Wren, die verkrüppelte Puppenmacherin. Da sind die leichtlebigen Anwälte Lightwood und Wrayburn und da ist der Schulmeister Headstone. Ihrer aller Geschichten hängen zusammen und sie alle machen Sinn in der Geschichte - bis auf die Subplots, die sich mit den Familien Veneering, Podsnap und Lammle beschäftigen. Wahrscheinlich wollte Dickens mit ihnen die Oberflächlichkeit der guten Gesellschaft karikieren, aber das hätte es gar nicht gebraucht. Also habe ich von Zeit zu Zeit etwas weniger aufmerksam gelesen, was dem Vergnügen aber nur wenig Abbruch getan hat. Our Mutual Friend ist kein typisches Spätwerk, aber ein typischer Dickens, und ich bin froh, dass jetzt ein paar mehr seiner Figuren meinen Kopf bevölkern. Dieses Buch ist das Zweite meiner portugiesischen Errungenschaften. Elizabeth Gaskell steht, seit ich North and South gelesen (und die äußerst zu empfehlende BBC-Verfilmung gesehen) habe, bei meinen literarischen Vorlieben ganz weit oben - ungefähr auf einem Level mit Jane Austen und Anthony Trollope, knapp unter Charlotte Brontë, Charles Dickens und Thomas Hardy.
(Diese Reihenfolge habe ich mir erst jetzt beim Schreiben ausgedacht.) Ruth ist allerdings längst nicht so romantisch wie North and South, wo das Happy End trotz aller Irrungen und Gesellschaftskritik von Anfang an völlig klar ist. Stattdessen ist Ruth ein höchst skandalöses Buch - was man heute durchaus noch nachvollziehen kann, wenn auch die Gründe hierfür nicht dieselben sind wie damals. Die junge Ruth Hilton, verwaist und allein, lernt das Schneiderhandwerk bei einer tyrannischen, selbstgerechten Trulla, und trifft bei einem Unfall den jungen, verwöhnten Mr. Bellingham, der leichte Beute in ihr sieht. Sie denkt, er ist ihr einziger Freund, vor allem, als die Trulla sie rauswirft, weil sie eben diesen jungen Mann kennt, und mangels anderer Optionen lässt Ruth sich von ihm überreden, mit ihm nach Wales durchzubrennen. Was dort passiert, bleibt mehrheitlich im Dunkeln, bis auf die schiefen Blicke der anderen Touristen, aber als Mr. Bellingham krank wird und seine angereiste Mutter Ruth zum Teufel jagt (denn was denkt sie sich dabei, einen so anständigen jungen Mann zu verführen?), wird klar, dass sie ein Kind erwartet. In der Folge findet sie unerwartete Freunde und so etwas wie Glück, aber ihre Sünden sind nie ganz vergessen. Mehr will ich nicht verraten - aber was mich bewegt, dürfte schon meine Art der Zusammenfassung klar gemacht haben. Die Art, wie junge Frauen als allein schuldig an sämtlichen Verfehlungen galten. Die Schuld, mit der sich Ruth über Jahre hinweg auseinandersetzen muss, während Mr. Bellingham Karriere macht, und die Tatsache, dass Elizabeth Gaskell dieses Buch offensichtlich nur veröffentlichen konnte, indem sie aus Ruth mehr ein Kind als eine Frau machte. Ruth ist zurückhaltend und so bescheiden, dass es schon an Unterwürfigkeit grenzt. In diesem Buch ist mehr von Gott die Rede als in sämtlichen Klassikern, die ich bisher gelesen habe, zusammen. Man merkt auf jeder Seite, wie sehr Elizabeth Gaskell ein Plädoyer gegen die Ungerechtigkeit, mit der Frauen wie Ruth behandelt wurden, halten wollte, und genauso merkt man auf jeder Seite, wie sie das Buch angepasst hat, damit es überhaupt gedruckt werden konnte. Ruth ist weit davon entfernt, eine Tess zu sein - aber Tess ist auch wesentlich jünger und war immer noch ein Skandal. Die zweite weibliche Hauptfigur, Jemima Bradshaw, ist diejenige, die mir mit all ihren Fehlern näher war als Ruth - denn sie ist eine Kämpferin, und sie ist es auch, die in einer entscheidenden Szene gegenüber ihrem tyrannischen Vater das Wort ergreift, um Ruth zu verteidigen. Jeder braucht eine Jemima in seinem Leben. Vor einigen Wochen habe ich Daphne du Mauriers Rebecca gelesen - und nun das nächste ihrer Bücher geschenkt bekommen. Wie so oft bei mir ist es nicht das bekanntere Werk, das mir am Besten gefällt - obwohl jeder Rebecca kennt und kaum jemand Jamaica Inn.
Wer Jamaica Inn googelt, findet ganz aktuelle Bilder eines noch immer existierenden Gasthauses in Cornwall, und tatsächlich ist dieses Jamaica Inn der Namensgeber des Buches, auch wenn Besucher in Daphne du Mauriers Geschichte nicht mit allzu großer Gastfreundschaft rechnen dürfen. Im Haus werden keine Gäste aufgenommen - tatsächlich fährt die Postkutsche aus Gründen, die nach und nach klar werden, äußerst zügig am Haus vorbei. Die junge Mary Yellan hat allerdings keine andere Wahl, als sich nach dem Tod ihrer Mutter dort niederzulassen, denn ihre einzige Verwandte, ihre Tante Patience, ist mit dem zwielichtigen, aber charismatischen Besitzer, Joss Merlyn, verheiratet. Joss Merlyn ist ein gewalttätiger Trinker, dessen Geheimnisse Mary nach und nach ergründet - genauso wie jene von Joss' jüngerem Bruder Jem. Mehr von der Handlung sei nicht verraten - aber Daphne du Mauriers Talent für faszinierende Figuren hat mich hier noch mehr begeistert als bei Rebecca. Das liegt in erster Linie an Mary Yellan selbst, die ein starker, furchtloser Charakter ist und sich nicht scheut, scheinbar stärkeren Gestalten die Stirn zu bieten. Sie ist modern, unkonventionell und inspirierend und nun, nachdem ich die letzte Seite gelesen habe, bin ich mir sicher, dass sie ein ebenso modernes, unkonventionelles und inspirierendes Leben geführt hat. Bei manchen Büchern ist die Geschichte dahinter beinahe noch interessanter als das Buch an sich. Ich wusste schon lange, dass es ein Frühwerk von Charlotte Brontë gibt, das von sämtlichen Verlagen abgelehnt und erst posthum veröffentlicht wurde. Dieses vernachlässigte Buch, The Professor, erzählt die Geschichte von William Crimsworth, der sich von seiner adligen, aber biestigen Verwandtschaft genauso lossagt wie von seinem tyrannischen Bruder, um seinen Weg in der Welt allein zu finden. Er wird in Brüssel Lehrer und lernt dort - nach etlichen Irrungen und Wirrungen - seine zukünftige Frau Frances kennen.
Zahlreiche Handlungsideen hat Charlotte Brontë im gepriesenen Villette wieder verwendet, das allerdings wesentlich düsterer und kompromissloser ist. The Professor ist ein harmloses Buch, aber trotzdem - oder gerade deswegen - eine Freude zu lesen. Die Anklänge an das, was Charlotte Brontë wichtig war, sind zahlreich. Besonders der Monolog von Frances, als sie ihrem Verlobten klar macht, warum sie nicht im Traum daran denkt, ihren Beruf aufzugeben, hat es mir angetan. Angetan war ich auch von der Art und Weise, wie ich an dieses Buch gekommen bin. Wann immer ich auf Reisen bin, egal in welchem Land - ich komme an keiner vernünftig wirkenden Buchhandlung vorbei, ohne zumindest einen vorsichtigen Blick hineinzuwerfen. An dieser Stelle möchte ich sagen, dass The Owl Story Bookstore in Lagos, Portugal, sämtlichen Ansprüchen gerecht wurde und weit darüber hinausging. Eine englische Buchhandlung oder mehr ein Antiquariat, wurde ich am Eingang von der Besitzerin in Empfang genommen, um eine kleine Führung zu bekommen - hier die normale Belletristik, da Krimis und Fantasy, in der Ecke eine ordentliche Sammlung an Klassik-CDs, und da das Klassiker-Regal. Ich habe mich mit geneigtem Kopf durch alles durchgearbeitet und mir die Klassiker bis zum Schluss aufgehoben, wohl wissend, dass da einige Schätze auf mich warten würden - The Professor war eins von zwei Büchern, die ich am Ende gekauft habe (das Gepäck ist ja am Ende immer das Problem), und diese vergilbte Ausgabe von 1951 hat jetzt einen besonderen Platz in meinem Herzen |
Archive...
December 2018
Kategorien
All
|