(Diese Reihenfolge habe ich mir erst jetzt beim Schreiben ausgedacht.)
Ruth ist allerdings längst nicht so romantisch wie North and South, wo das Happy End trotz aller Irrungen und Gesellschaftskritik von Anfang an völlig klar ist.
Stattdessen ist Ruth ein höchst skandalöses Buch - was man heute durchaus noch nachvollziehen kann, wenn auch die Gründe hierfür nicht dieselben sind wie damals.
Die junge Ruth Hilton, verwaist und allein, lernt das Schneiderhandwerk bei einer tyrannischen, selbstgerechten Trulla, und trifft bei einem Unfall den jungen, verwöhnten Mr. Bellingham, der leichte Beute in ihr sieht. Sie denkt, er ist ihr einziger Freund, vor allem, als die Trulla sie rauswirft, weil sie eben diesen jungen Mann kennt, und mangels anderer Optionen lässt Ruth sich von ihm überreden, mit ihm nach Wales durchzubrennen.
Was dort passiert, bleibt mehrheitlich im Dunkeln, bis auf die schiefen Blicke der anderen Touristen, aber als Mr. Bellingham krank wird und seine angereiste Mutter Ruth zum Teufel jagt (denn was denkt sie sich dabei, einen so anständigen jungen Mann zu verführen?), wird klar, dass sie ein Kind erwartet.
In der Folge findet sie unerwartete Freunde und so etwas wie Glück, aber ihre Sünden sind nie ganz vergessen.
Mehr will ich nicht verraten - aber was mich bewegt, dürfte schon meine Art der Zusammenfassung klar gemacht haben. Die Art, wie junge Frauen als allein schuldig an sämtlichen Verfehlungen galten. Die Schuld, mit der sich Ruth über Jahre hinweg auseinandersetzen muss, während Mr. Bellingham Karriere macht, und die Tatsache, dass Elizabeth Gaskell dieses Buch offensichtlich nur veröffentlichen konnte, indem sie aus Ruth mehr ein Kind als eine Frau machte. Ruth ist zurückhaltend und so bescheiden, dass es schon an Unterwürfigkeit grenzt. In diesem Buch ist mehr von Gott die Rede als in sämtlichen Klassikern, die ich bisher gelesen habe, zusammen. Man merkt auf jeder Seite, wie sehr Elizabeth Gaskell ein Plädoyer gegen die Ungerechtigkeit, mit der Frauen wie Ruth behandelt wurden, halten wollte, und genauso merkt man auf jeder Seite, wie sie das Buch angepasst hat, damit es überhaupt gedruckt werden konnte.
Ruth ist weit davon entfernt, eine Tess zu sein - aber Tess ist auch wesentlich jünger und war immer noch ein Skandal.
Die zweite weibliche Hauptfigur, Jemima Bradshaw, ist diejenige, die mir mit all ihren Fehlern näher war als Ruth - denn sie ist eine Kämpferin, und sie ist es auch, die in einer entscheidenden Szene gegenüber ihrem tyrannischen Vater das Wort ergreift, um Ruth zu verteidigen.
Jeder braucht eine Jemima in seinem Leben.