Wieviele Versionen von Liebesromanen gibt es, in denen beste Freunde plötzlich zu Liebenden werden?
Wieviele Klischees werden in Krimis ausgepackt?
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit in der viktorianischen Literatur, dass sich die Heldin in den Falschen verliebt, um am Ende dann doch noch den Richtigen zu bekommen?
Das alles ist mir völlig egal, wenn ich eine Variation einer alten Geschichte bekomme, die mich überzeugt - mit Charakteren, die mir ans Herz wachsen, und dem gewissen Extra, das es braucht, damit eine Geschichte hängenbleibt.
Ich mag Anthony Trollope so sehr, dass ich heute das elfte Buch von ihm zu Ende gelesen habe - und das, obwohl er wahrlich das Rad nicht mit jedem Buch neu erfunden hat. Es klingt böse, aber in seine Bücher einzutauchen ist, wie in die bequemsten Latschen zu schlüpfen, die man hat. Eine wohlige Vertrautheit, das Wissen, nicht enttäuscht zu werden.
Und trotz aller Bequemlichkeit ist es nie langweilig.
The Prime Minister ist die fünfte der sechs Palliser Novels und jene, in der Plantagenet Palliser zum - logischerweise - Premierminister von England wird. Die Umstände hier darzulegen, macht erstens das Buch kaputt, und ist zweitens unmöglich, da ich weder Zeit noch Lust habe, die mehreren tausend Seiten der gesamten Bücher zusammenzufassen.
Die Pallisers - Plantagenet und seine Frau Glencora - haben nebst den Finns einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen - so besonders, dass sie mich sogar zur ersten meiner Kurzgeschichten inspiriert haben.
Was bin ich froh, dass ich sie geschrieben habe, bevor ich The Prime Minister gelesen habe, denn obwohl sie noch immer zu meinen absoluten Lieblingen gehören, ist jetzt vieles von dem Geheimnis weg, was sie in den ersten vier Büchern umgab. Die beiden sind die zentralen Figuren im Buch und ich bin begeistert davon, wie Trollope ihre ungewöhnliche Ehe darstellt - bar jeglicher romantischer Konventionen, die sonst auf viktorianischen Romanen lasten, und gerade deshalb beeindruckend. Die Pallisers haben, abgesehen davon, dass sie zum Hochadel gehören, etwas extrem Realistisches.
Aber auch die klassische viktorianische Liebesgeschichte gibt es in The Prime Minister: Emily Wharton verliebt sich in einen Mann von unklarer Herkunft (Gott bewahre, kein Engländer!) und bereut bitter, nur um am Ende doch noch in die Arme des edlen Ritters zu sinken. Wunderbar, und schon hundertmal dagewesen. Aber genauso wie Michael Fassbender mir das Telefonbuch vorlesen könnte und ich andächtig lauschen würde, kann Trollope mir den xten Aufguss seiner Liebesgeschichten vorsetzen und ich bin immer noch begeistert.
Einziges wirkliches Manko: Die Darstellung nicht-englischer Charaktere, die am Ende immer als Abenteurer, Halsabschneider oder unehrenhafte Schwindler dastehen, wenn nicht gar als Mörder.