Gleichzeitig liegt da aber auch die größte Schwäche des Buches, das mit all den Fäden, die am Ende auf wundersame Weise verknüpft werden, leider zeitweise einen sehr, sehr konstruierten Eindruck macht. Die Figur Oliver Twist bleibt über weite Teile blass, was dazu führt, dass man nicht ganz so sehr mit ihm mitleidet, wie man eigentlich möchte - er ist passiv und steht mehrheitlich als Opfer da. Nichts, was ihm widerfährt, ist auf seine eigene Initiative zurückzuführen, einzig ein Ausbruch, als seine Mutter beleidigt wird, zeugt davon, dass in ihm doch mehr steckt.
Am Besten ist Dickens, wenn er ganze Eimer voller Sozialkritik über den Lesern ausschüttet. Seine Satire ist vor allem am Anfang beinahe zynisch und seine Darstellung des nicht vorhandenen Sozialsystems in der frühen Mitte des 19. Jahrhunderts grandios.
Mein liebstes Kapitel kam ganz zum Schluss und beinhaltet diesmal nicht einen Heiratsantrag (den es natürlich trotzdem gab), sondern die letzte Nacht von Fagin, dem Anführer der Kriminellen. Dem Sog der Verzweiflung, der in dieser Szene entwickelt wird, kann man nicht ausweichen, und das ist auch gut so.