Tatsächlich passiert das, wenn man Karten für ein Konzert in der Philharmonie hat und zum ersten Mal seit Jahren so früh dran ist, dass man tatsächlich noch Zeit hat, in den hübschen Philharmonie-Shop zu gehen, um dort in der Berlin-Ecke Thomas Hettches hochgelobten Roman Pfaueninsel zu finden.
Allein wegen des Umschlages hätte ich das Buch gekauft, aber es wurde mir auch von belesenen, wohlmeinenden Freunden ans Herz gelegt.
Die Pfaueninsel liegt in der Havel nördlich von Potsdam und ist nicht zuletzt für Berliner ein beliebtes Ausflugsziel, und noch dazu eins mit Geschichte. Diese Geschichte, oder zumindest das, was sich im 19. Jahrhundert auf der Pfaueninsel abgespielt hat oder abgespielt haben könnte, wird in diesem Buch erzählt.
Im Zentrum steht das sogenannte Schlossfräulein, die Zwergin Marie, die beinahe ihr ganzes Leben auf der Insel verbringt, nachdem sie und ihr Bruder Christian als Kinder vom königlichen Hofgärtner Fintelmann aufgenommen wurden. Sie kennt Könige und Königinnen, ist Teil der Entwicklung der Insel und beobachtet am Ende ihren Niedergang. Sie ist furchtlos mit dem Löwen und freundlich mit den Äffchen, sie kennt die Pfauen und all die ungewöhnlichen menschlichen und tierischen Gestalten, die sich nach und nach einfinden und wieder verschwinden.
Ihr eigenes Leben ist nicht unbedingt nur ein glückliches - dass ihr ebenso kleinwüchsiger Bruder einst von der Königin als Monster bezeichnet wurde, verfolgt sie über Jahrzehnte hinweg. Aber sie ist klug, sie ist belesen und man wünschte sich lediglich, ihr würden mehr Menschen zuhören und sie nicht nur auf ihr außergewöhnliches Äußeres reduzieren. Aber die Menschen reduzieren nicht nur sie, sondern am meisten sich selbst mit ihrer Unfähigkeit, Marie wirklich zu sehen.
Ihre Geschichte hat etwas sehr Zeitloses.
Thomas Hettche schreibt, wie man zur Zeit Maries geschrieben haben mag, und das gefällt mir. Er zieht zwar ab und zu Bögen in unsere Zeit, aber so, dass wir aus der Zeit gefallen scheinen und nicht Marie. Er verpackt seine klugen Beobachtungen in eine sinnliche Sprache (allein all die Pflanzen, die er beschreibt!) und ich denke mir, ich könnte wieder öfter deutsche Bücher lesen. Er hat schließlich nicht nur dieses eine geschrieben.