Wolf Hall ist das perfekte Buch für mich.
Vor langen Jahren habe ich mich eingehend mit Elizabeth I. beschäftigt und nun das, was ich damals verinnerlicht habe, aus einer komplett neuen Perspektive zu sehen, und dann auch noch in fiktiver Form, ist faszinierend, fesselnd, und ich kann es kaum erwarten, den zweiten Teil der Trilogie zu lesen. Bring Up The Bodies befindet sich bereits auf meinem Bücherstapel und es bleibt nur zu hoffen, dass es nicht mehr allzu lange dauert, bis Hilary Mantel auch den dritten Teil herausbringt. In der Zwischenzeit werde ich mich wohl mit ihren anderen Büchern behelfen, denn nach langer Zeit hat es eine zeitgenössische Schriftstellerin wieder geschafft, mich wirklich zu beeindrucken.
Hilary Mantel erzählt die Geschichte von Thomas Cromwell, der - aus einfachen Verhältnissen stammend - zum einflussreichsten Berater von Henry VIII. wird - dem Henry, der u.a. dafür berüchtigt ist, dass er die englische Kirche von der römisch-katholischen abgespalten hat, um seine zweite Frau, Anne Boleyn heiraten zu können. Anne Boleyn, die zwar die Mutter der zukünftigen Königin war, aber nach wenigen Jahren Ehe vor den Henker treten musste.
Die Zeiten waren brutal, und Hilary Mantel beschönigt nichts - wer mit detaillierten Beschreibungen von Ketzerverbrennungen ein Problem hat, sollte das Buch nicht lesen. Aber gleichzeitig lässt sie die politischen und künstlerischen Schwergewichte dieser Zeit auftreten - von Cranmer und More über Holbein zu allem, was am Hofe Rang und Namen hatte. Sie verlangt dem Leser viel ab - trotz eines Personenverzeichnisses und einiger Kenntnisse über die Tudor-Zeit habe ich während der ersten zweihundert Seiten mehr Zeit bei Wikipedia als im Buch verbracht. Aber die Mühen lohnen sich - dieses Buch ist nicht umsonst mit dem Booker Prize ausgezeichnet worden. Hilary Mantel beweist, dass sich Spannung und makelloser Stil nicht ausschließen müssen.
Wer sich im Übrigen fragt, was es mit dem Titel auf sich hat: Wolf Hall ist der Landsitz der Familie Seymour, deren Bedeutung in diesem Buch immer wieder subtil angemerkt wurde - wer käme denn auf die Idee, dass die schüchterne Hofdame Jane Seymour, die als einzige einen realistischen Blick auf die Absurditäten des Hofes zu haben scheint, irgendwann Anne Boleyn folgen sollte - nicht zum Henker, sondern ins Bett des Königs?