Als Self-Publisher hat man bei Amazon nebst dem normalen Verkauf die Möglichkeit, am KDP Select-Programm teilzunehmen. Das bedeutet, dass das betreffende Buch - jeweils für drei Monate und mit unbegrenzter Möglichkeit zur Verlängerung - zur Ausleihe freigegeben wird. Kunden können für 9,99 € monatlich eine unbegrenzte Zahl an teilnehmenden Büchern ausleihen und lesen.
Bis Sommer 2015 wurden die Autoren pro Ausleihe bezahlt - sobald ein Leser mehr als zehn Prozent eines Buches gelesen (oder sich bis dahin durchgeklickt) hatte, wurde einem die Ausleihe gutgeschrieben. Problem bei der Sache war, dass ein Buch mit zehn Seiten genauso viel Erlös brachte wie eins mit tausend Seiten - das heißt, bis der Leser möglicherweise realisiert hatte, dass das heruntergeladene Buch Schwachsinn ist, lachte sich der Autor ins Fäustchen und freute sich über die Gutschrift auf seinem Konto. Das mag zynisch klingen, aber bei dem - mit Verlaub - Mist an Sexgeschichten der untersten Schublade, die da rumschwirrten, gingen mir doch einige Illusionen verloren.
Seit Sommer 2015 werden die Autoren pro Seitenzahl bezahlt. Hierfür hat Amazon ein eigenes System entwickelt. Die Idee an sich ist löblich, auch wenn Autoren von liebevoll gepflegten Kinderbüchern oder aufwendig recherchierten Ratgebern, die meist Informationen in komprimierter Form weitergeben, leider die Verlierer sind. Außerdem ist die Versuchung groß, Abschnitte drinzulassen, die rausgekürzt gehören, denn es gibt ja schließlich mehr Geld für mehr Text. Die Versuchung wird auch insbesondere deshalb immer größer, weil der Betrag, der einem pro Seite ausgezahlt wird, seit Sommer stetig gesunken ist.
Aber das ist nicht das Hauptproblem. Das Hauptproblem ist, dass Amazon sich grundsätzlich nicht in die Karten schauen lässt und die Seitenzahlen gern auf eine Art und Weise variieren, die nicht nachvollziehbar ist.
Ein Beispiel: ich habe die erste Version von Special Relations nicht - wie sonst immer - als Word-Dokument hochgeladen, sondern epub verwendet. Die Seitenzahl, die mir am Veröffentlichungswochenende angerechnet wurde, war erstaunlich niedrig, so dass ich spaßeshalber auf die Idee kam, doch die Word-Datei hochzuladen. Siehe da, die angerechneten Seitenzahlen schossen - für exakt denselben Text - in die Höhe. Ich bin alles andere als geldgierig (wenn ich das wäre, würde ich nicht schreiben), aber dass mir aufgrund der Fehler im System ein höherer zweistelliger Betrag durch die Lappen gegangen ist, ist mehr als ärgerlich.
Ein weiterer Punkt ist, dass das KDP Select-Programm nur jenen Büchern zur Verfügung steht, die exklusiv bei Amazon veröffentlicht werden. Wenn ich also mein Buch zur Ausleihe freigebe, kann ich es nicht parallel bei Tolino, Neobooks und anderen Self-Publishing-Plattformen anbieten, die dem großen Amerikaner die Stirn bieten.
Das sind die Hauptgründe, die mich dazu bewogen haben, nach einem Jahr mit KDP Select nach und nach auszusteigen. Ich werde in Zukunft meine Bücher für die ersten drei bis sechs Monate nach Veröffentlichung exclusiv bei Amazon anbieten - mit Ausleihe - und sie dann nur noch zum Verkauf anbieten. Ich bin neugierig darauf, wie die anderen Plattformen funktionieren, und ich möchte nicht komplett von Amazons doch zuweilen undurchsichtiger Geschäftspraxis abhängig sein.
Mir ist klar, dass das für die Leser, die die Ausleihe nutzen, problematisch werden kann - manche meiner Bücher hängen zusammen, und dass zum Beispiel Special Relations zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Julia ohne Widerspruch nicht mehr ausgeliehen werden kann, tut mir leid. Ich möchte betonen, dass ich diese Entscheidung nicht getroffen habe, um die Leute dazu zu bringen, meine Bücher zu kaufen und nicht nur auszuleihen.
Ganz im Gegenteil ist es so, dass ich mich dem Risiko aussetze, dass die Leute meine Bücher lesen, ohne sie tatsächlich zu bezahlen, denn Amazon erlaubt die Rückgabe eines gekauften Buches innerhalb einer Woche, egal, wieviel gelesen wurde. Dies ist ein weiteres Ärgernis, das meiner Meinung nach dringend hinterfragt gehört. Aber ich vertraue darauf, dass meine Leser anständige Menschen sind, denen klar ist, dass Autoren nur dann weiterschreiben können, wenn sie es sich zeitlich und finanziell leisten können.
In der Zwischenzeit hoffe ich, dass ich mich in der Zukunft wieder mehr dem Schreiben und weniger logistisch-organisatorischem Kram widmen kann, denn die Geschichten sind es, die im Zentrum stehen sollten, und nichts anderes.