Ich hätte das Buch erst beinahe zum Fenster hinausgeworfen, und dann hat es mich zum Nachdenken gebracht.
Ich würde lügen, wenn ich sagte, meine Heldinnen und Helden haben keine optischen Vorbilder aus dem wirklichen Leben. Zumindest am Anfang habe ich meist ein sehr klares Bild einer realen Person vor Augen, das dann irgendwann verschwimmt, je mehr der fiktionale Charakter Kontur annimmt.
Ich habe meine Vorstellungen und die Leser haben ihre eigenen Vorstellungen, und natürlich würde ich wahnsinnig gern wissen, ob diese Vorstellungen übereinstimmen - wahrscheinlich aber eher nicht. Die Person, die Julia ohne Widerspruch gerade gegenliest, sieht Julia einfach als Blondine, egal, wie oft ich schreibe, dass sie rote Haare hat, und das ist auch völlig in Ordnung so, denn mir geht es oft genauso (nicht bei meinen eigenen Charakteren, immerhin).
Ich bin allerdings über Matthew McConaughey noch immer nicht hinweg.
Also werde ich mich hüten, in der Öffentlichkeit Namen zu nennen, auch wenn die Versuchung groß ist, denn meistens sind das Leute, die ich wirklich spannend finde. Aber ich möchte meine Leser, die wahrscheinlich mehrheitlich Leserinnen sind, nicht da auch noch beeinflussen. Ich dränge ihnen wahrscheinlich schon oft genug meine Meinung zu gesellschaftlichen und politischen Themen auf, da muss ich ihnen nicht auch noch Schauspieler XY vor die Nase setzen, der die Inspiration für Marcellus war, oder der, dessen Äußeres ich für Teju geklaut habe.
Warum Schauspieler? Deshalb, weil sie die perfekte Schablone sind. Wir sehen Schauspieler in zahlreichen unterschiedlichen Rollen, vielleicht auch ab und zu in einem Interview, aber die tatsächliche Persönlichkeit bleibt mehrheitlich im Dunkeln. Ich kann mir das attraktive Äußere nehmen und daraus machen, was ich will.
"Es wird nie passieren, dass eine reale Person in einem meiner Bücher auftaucht", hatte ich gerade geschrieben und dabei nicht einmal gemerkt, dass das nicht stimmt, zumindest nicht für Nebenfiguren. Tatsächlich werden es immer mehr. Das fängt an bei Namen aus meinem Umfeld, die ich gnadenlos klaue, denn sich permanent neue Namen auszudenken ist wirklich die Hölle. Und dann geht es weiter mit Personen, die ich kenne und die ich vor mir sehe, wenn ich schreibe. Esther, die Intendantin von Julias Theater, ist so ein Fall, auch wenn die Original-Esther weder Esther heißt noch Intendantin ist. Auch Elsa und Ulrich aus Dreiklang haben reale Vorbilder, und die Mitglieder der WG in Der Tod, das Mädchen und die Liebe.
Und dann geht es weiter mit Orten. Wer meine Bücher liest, kann sich denken, wo in der Welt ich unterwegs bin, und sobald eine Geschichte in Berlin spielt, wird sie mit realen Orten gespickt. Julias Stammkneipe ist auch meine, auch wenn Gregor auf meinem eigenen Mist gewachsen ist.
Vielleicht sollte ich aufhören, permanent zu betonen, dass meine Bücher nicht autobiographisch sind.